2004-09-13

France

(Richard:)

Da wir uns eine relativ grosse Hike Strecke fuer den Start ausgesucht haben, lassen Soeren und ich uns einigermassen breitwillig von Anna aus dem Schlafsack kicken. Wir schaffen dann tatsaechlich auch einen Aufbruch um 0930Uhr, eine absolute Bestleistung. Meine Knie und Waden schmerzen jedoch von km 0 an, da ich sie auf den mageren 10km am Vortag wohl ueberlastet haben muss - die 3km hoch zum Campingplatz moegen zwar eine Heldentat gewesen sein, aber dennoch eine Ueberbelastung.

Uns begegnen viele andere Hikinggruppen, darunter auch Familien. Oft ist das Noergeln der Kinder schon von weitem zu hoeren und ich frage mich, wie man trotz Quengelkiddies im Dauermodus noch Spass am Hike haben kann. Ausserdem bestaetigt mich eine total gequaelt und reschoepft aussehende Familie am Abend in der Vermutung, dass Durchhaltevermoegen und Geschwindigkeit von Kindern wohl nur sehr schwer zu schaetzen sind! Bin ja mal gespannt wie ich mich eines Tages mit Familie verhalten werde...

Der Weg fuehrt vorbei an einem spiegelglatten Stausee und einem riesigen Tal. Das Tal ist unbebaut, flach und ohne Vegetation, der Rasen wirkt wie frisch gemaeht. Grund dafuer sind die zahllosen Kuehe, Schafe, Pferde und Esel, die ueberall beim Grasen zu finden sind. Die Tiere koennen sich absolut frei bewegen und wirken allesamt total entspannt. Die Halung von Nutztieren in den Bergen scheint mir eine sehr coole Sache zu sein - nur auch wohl sehr viel Arbeit.

Zurueck zum Tal: Weiterer Pluspunkt ist die spektakulaere Sicht auf die umliegenden Gipfel, die Lust auf mehr macht. Auf dem Weg nach oben begegnet uns eine Gruppe Esel, die offenbar gerne was zu fressen bekommen wuerden. Wir nutzen die Gelegenheit mit den Tieren zu posen und haben ne Menge Spass, als die Viecher Soeren in die Mangel nehmen und ihn ausrauben wollen - Kamera, Radshirt - alles was halt so da ist. Mir sind Esel spontan sympathisch und ich glaub, dass so ein graues, langsames, trotziges Tier besser zu mir passen wuerde als jedes Pferd.

Wir kommen an einen sehr steilen Felshang, den Soeren direkt als wunderbaren Kletterfelsen identifiziert, mich aber eher an Hinterhaltsszenarios aus klassischen Westerns erinnert. Auf meinen Angriff mit der Fingerpistole wirken Anna und Soeren aber eher irritiert - Banausen! Passend zum Setting kreist ueber uns ein Adler. Denen begegnen wir noch haeufiger und sie scheinen zu Recht Markenzeichen des Naturparks zu sein. Wenn ein Adlerschrei in einem nahezu leeren Tal zu hoeren ist und ein grosser Greifvogel in grosser Hoehe kreist, ist unmissverstaendlich klar, wessen Revier man hier betritt.

Wir kommen an mehreren Bergseen vorbei, die weitere Panorama Blicke ermoeglichen. Soeren kann diesen nicht laenger wiederstehen und muss sich die Droge Gipfelsturm und Gipfelblick abholen. Da Anna und mir unser Leben lieb und teuer ist, trennen wir uns und beobachten Soerens Kletterpartie ab und an mit dem Fernglas. Lustig ist, als Soeren uns auf die wahren Meister der Berge direkt neben ihm hinweist. Bergziegen heizen mit einer Affengeschwindigkeit fast senkrechte Geroellpassagen hoch und verhoehnen so unseren angehenden Experten Bergsteiger.

Anna und ich umrunden derweil einen Bergsee und regen uns ueber ein illegal fischendes Paerchen und ueber eine vermutlich besoffene, groehlende Trekkinggruppe auf. Anna stellt ihr Interesse fuer Zoologie unter Beweis, indem sie mittels Steinwurf tote von lebendigen Fischen zu unterscheiden versucht und unterschiedliche Stadien von Kaulquappen miteinander vergleicht und begutachtet. Zwischenzeitlich steht der pelzige Unhold von Bruder auf dem Gipfel seiner Wahl und jubelt herunter.

Anna und ich folgen dem Weg zum Treffpunkt, kommen an einer Schutzhuette vorbei und laufen Serpentine fuer Serpentine den Pass hoch. Soeren hat uns schon lange erwartet und beschwert sich ueber unsere Verspaetung, er habe schon die naechsten 10 Gipfel nach uns abgesucht und sei hin und hergerannt. Und ach ja, der Gipfel sei selbst fuer ihn "fast zu krass" gewesen, fuer den Normalsterblichen also der sichere Freitod.

Kurz darauf stehen wir an einem Talhang und fragen uns, wo der auf der Karte verzeichnete Weg wohl in der Realitaet langgeht. In der Realitaet ist da naemlich kein Weg, sondern ein Berg, noch dazu ein ziemlich hoher. Einer der allgegenwaertigen Schaefer spricht uns an, merkt uns schnell die Qualitaet unserer Franzoesisch Kenntnisse an und versucht uns auf Englisch-Franzoesisch den Weg bzw einen Weg zu erklaeren. Neuen Mutes versuchen wir den zur Haelfte verstandenen Anweisungen folge zu leisten und gehen los. Mir wird in meiner Haut immer unwohler, da Pfade nur begrenzt existent sind, die Haenge ganz schoen steil wirken und auch der Weg voraus alles andere als sicher begehbar aussieht. Das Gefuehl der Unsicherheit bzw der Situation nicht gewachsen zu sein wird immer groesser und ich will trotz der drohenden Daemmerung lieber umkehren und einen anderen, beschilderten und sicheren Weg nehmen, anstatt mich weiterhin zu ueberfordern. Anna ist auch nicht ganz wohl bei der Sache und nimmt Kontakt zu Scout BuschnicK auf. Leider verlaeuft dieser alles andere als gluecklich und Anna und ich sind schlecht gelaunt, weil Soeren es uns uebel nimmt, dass wir umdrehen wollen und Soeren ist schlecht gelaunt, weil wir den tollen, ausgekundschafteten Weg aus nicht vermittelten Gruenden nicht nehmen wollen.

Die Gruppendynamik verschlechtert sich daraufhin noch weiter und wir laufen fuer ne Weile in ziemlich schlechter Stimmung den Berg herunter. Irgendwann mal hat sich auch die gelegt und das Hauptproblem besteht darin, dass ich mehr humpel als laufe und die anderen in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit lieber zischen wollen. Knieschmerzen, die Hoehenmeter fuer Hoehenmeter zunehmen, und damit zusammenhaengende Sicherheitsaspekte lassen mich mein Tempo beibehalten und fuehren dazu, dass die anderen immer auf mich warten muessen. Gegen Ende ist die Flasche so gut wie leer und ich schleppe mich auf zwei aufgelesenen Stoecken gestuetzt Schritt fuer Schritt Richtung Tal. Solche Gelenkschmerzen hab ich mein Leben noch nicht gehabt!

Alle Leiden finden einmal ein Ende und ein erster Schritt dahin war fuer mich die heisse Dusche im Tal. Wenigstens einigermassen wiederhergestellt lag ich daraufhin dennoch wehklagend im Zelt ( Anm Soeren: aber nicht ohne seinen Humor verloren zu haben ;-) zumindest kamen noch hoechst amuesante Bemerkungen von der Fast-Leiche... ). Anna unterliess es nicht meine physische Situation auszunutzen, um mir psychischen Schmerz zuzufuegen. Voller Bosheit, Arglist, Heimtuecke, Gefuehlslosigkeit, Barbarei und Kommunismus brachte sie mich um meinen Anteil an den koestlichen Bounty Schokoriegeln. Auf meine Frage "Warum isst du meine Bountys?" antwortete sie "Von den Bountys gehoert dir nur eins und das habe ich erst zur Haelfte gegessen!". Der empathische Leser mag nachempfinden, dass meine Seelenqual mich daraufhin die Nacht hindurch begleitete und fortan mein Glaube an die Menschlichkeit der Welt erschuettert.

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