2004-07-23

Scotland

DER STURM! Und ich fahr frontal dagegen an. Wenn ich mich mit aller Kraft (und das ist nicht wenig ;-) ) in die Pedalen schmeisse schaffe ich etwas ueber 10km/h. Ein Kind steigt aus dem Auto und wird sofort umgeblasen. Ich kaufe ein halbes Kilogramm Brot und bin so bloed das abzulegen - 100m weiter hab ich es endlich eingefangen. Ein schottischer Biker kommt mir entgegen und freut sich. Er will aber auch bald Richtung Sueden und dann soll er wohl sein Fett wegkriegen. Ein Verkaeufer erfaehrt meine Fahrtrichtung und meint schlicht aber mit Nachdruck: "Impossible!"

Als kleine Pause mache ich ne Hoehlenbesichtigung. Regentropfen fuehlen sich an als wuerden sie kleine blutige Krater auf meiner Lippe hinterlassen. Wenn ich einen ins Auge bekomme bin ich sekundenlang blind. Autofahrer laecheln mich mitleidig an oder machen anfeuernde Gesten. Nach ueber 50km davon hab ich fast die Schnauze voll und bruelle meinen Frust in den Wind. Das einzige, was ich davon habe ist der irritierte Blick einiger Schafe. Versteht mich nicht falsch, minus den Regen mag ich solches Wetter. Wenn es zu Hause Sturmwarnungen gab sah man mich als erstes draussen. Aber dagegen anfahren ist hart.

Ein Gedanke fasziniert mich: Wenn es auf Meeresniveau schon so zur Sache geht, wie muss es dann erst weiter oben zugehen? Also fahre ich 10km Umweg auf den krassesten Gipfel zu, den ich am Horizont ausmachen kann. Zuerst scoute ich einmal halb um den Berg herum und mache mich dann an den Aufstieg. Nach 500hm erreiche ich den Westgrat, den ich mir als Gipfelroute ausgesucht habe. Das Ding ist nackter Fels, teilweise nicht einmal nen Meter breit und zu beiden Seiten geht es steil runter. Der Wind auf dieser Hoehe ist so krass, dass ich mich mit vollem Koerpergewicht dagegen lehnen muss, um stehenbleiben zu koennen, geschweige denn in gerader Linie einen Fuss vor den anderen setzen. Eine Wolke huellt alles ueber mir ein und Regen peitscht mit ohrenbetaeubendem Laerm gegen meine Kaputze. Ich habe maximal 2 Stunden Tageslicht und schaetzungsweise 200hm und den Abstieg vor mir. Irgendwann werde selbst ich von Vernunftsanfaellen heimgesucht und aendere meine Mission von: "Erreiche den Gipfel" auf "Komm hier lebend wieder runter".

Als Abstiegsroute waehle ich den steilen, aber windgeschuetzten (ich kann immerhin ruhig stehenbleiben) Nordhang, was den zusaetzlichen Vorteil hat, dass ich direkt bei meinem Zelt herauskomme. Hoellenanstrengend. Bergwandern in Schottland wird extrem erschwert dadurch, dass man fast immer durch nass feucht glitschiges Sumpfmoos und Gras laeuft. Manchmal ueberdeckt eine duenne Schicht davon tiefe Felsspalten. Das hat zur Folge, dass man sein Gewicht sehr lange auf einem Bein tragen muss, bevor man sicher ist, dass das andere nen festen Stand gefunden hat. Wie auch immer, ich hatte mein Sturmerlebnis, absolut grandiose Aussichten und lieg wieder gemuetlich im Zelt.

Jemand, der Ahnung von Bergen und Bergwandern hat, wuerde mich fuer die Aktion jetzt wahrscheinlich verpruegeln wollen. Aber was soll's?! Ich bin jung, gesund, stark und uebermuetig - und ausserdem Organspender ;-) Und mal ehrlich - wie oft im Leben hat man schon einmal die Chance ein derart gewaltiges Naturschauspiel aktiv und hautnahe zu erleben?! Jetzt hoffe ich nur noch, dass die alten Baeume am Fluss, in deren Windschatten mein Zelt steht, wirklich keine Widowmaker sind...

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